[München] "Da ist ’ne Schraube locker"

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Breakdance
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[München] "Da ist ’ne Schraube locker"

Beitrag von Breakdance » 20.09.2010, 18:51

München (DK) In 38 Metern Höhe über dem Oktoberfest-Gelände pfeift TÜV-Prüfer Stefan Kasper ein frischer Wind um die Nase. Es ist der höchste Punkt der Achterbahn "Fünfer Looping". Doch auch hier oben muss der 42-Jährige kontrollieren, ob alles in Ordnung ist – schließlich geht es um die Sicherheit der Fahrgäste.

Sein Job ist nicht ungefährlich. "Besonders kritisch wird’s wenn es regnet", weiß der Experte. Denn dann kann man schnell mal ausrutschen. Doch an diesem Dienstagvormittag ist zum Glück alles trocken.

Stefan Kasper ist Leiter der Abteilung "Fliegende Bauten" beim TÜV Süd. Zusammen mit seinen Ingenieurskollegen überprüft er vor Beginn der Wiesn beispielsweise beim Fünfer Looping die Festigkeit der Bolzen, die Verschraubung der Schienen und den Zustand der tragenden Bauteile. Er testet die Oberkörperbügel, stoppt Fahrzeiten und kontrolliert die Bremswege.

Fast alles, was auf dem Oktoberfest aufgebaut wird, muss vom TÜV abgenommen werden. Von der kleinen Schaubude über die Fahrgeschäfte bis hin zu den Bierzelten. Das ist von der Stadt München so vorgeschrieben. 20 Ingenieure des TÜV-Süd sind in der letzten Woche vor der Wiesn im Einsatz. Je nach Größe des Objekts kann die Prüfung insgesamt sogar mehrere Tage dauern. Oft schauen die Experten schon während der Aufbauphase vorbei, wenn bestimmte Teile noch nicht verbaut sind, um sie zu testen. Die Abnahmen auf dem Oktoberfest führt der TÜV Süd bereits seit 1929 durch.

Für Stefan Kasper ist es ein Traumjob. Vor 15 Jahren sah er in einer Zeitung das Stellenangebot: Der TÜV Süd war auf der Suche nach einem Sachverständigen für Fliegende Bauten. Voraussetzungen: körperliche Fitness und Schwindelfreiheit. Der junge Bauingenieur bewarb sich – und bekam den Job, der ihn bis heute glücklich macht.

Weil die Fahrgeschäfte immer komplizierter werden, hat der TÜV inzwischen Ingenieure aus den Bereichen Elektrotechnik, Bau, und Maschinenbau im Einsatz. Voraussetzung, um in diesem Job arbeiten zu dürfen ist allerdings eine spezielle Höhentauglichkeitsprüfung, zu der auch zahlreiche ärztliche Tests gehören.

Auch auf der heuer einmaligen historischen Wiesn nehmen die Fachmänner die Aufbauten genau unter die Lupe . Zum Beispiel beim Fahrgeschäft "Fahrt ins Paradies", Baujahr 1939. Bei der Berg- und Talbahn handelt es sich um ein "Unikat hoch drei", wie der 75-jährige Senior-Chef Jacob Schleifer stolz erklärt. Bereits 1953 wurde das gute Stück eingemottet und war seitdem nicht mehr in Betrieb.

Erst vor einigen Jahren kaufte Schleifers Sohn Toni die völlig marode "Fahrt ins Paradies". Der Vater hatte davon abgeraten: zu viel Arbeit. Doch Toni griff trotzdem zu und begann die Bahn liebevoll zu restaurieren. Heuer ist sie erstmals wieder im Einsatz.

Prüfer Kasper wackelt derweil kritisch an einer Gondel – und hat auch gleich was zu meckern: "Da ist ’ne Schraube locker." Kein Beinbruch, Toni Schleifer eilt sofort mit einem Schraubenschlüssel herbei, um das kleine Malheur zu beheben. Kaum sitzt alles wieder fest, schwingt sich der TÜV-Experte mutig in die Gondel und gibt den Betreibern das Kommando: "O.K. – und los."

Schleifer legt den Schalter um und das betagte Gefährt setzt sich ächzend und stöhnend in Bewegung. Es quietscht und scheppert. Doch dann kommt die Bahn immer besser in Schwung und Prüfer Kasper saust in der gelben Gondel mit der Nummer 16 auf und ab. Ganz ohne Sicherheitsbügel – denn so etwas gab es Ende der 30er Jahre noch nicht.

Die Probefahrt gehört zum angenehmen Teil der TÜV-Abnahme. "Aber das macht leider nur 0,1 Prozent unserer Arbeit aus", sagt Experte Kasper und macht ein trauriges Gesicht. Für die Schleifers hat er aber eine gute Nachricht: Die "Fahrt ins Paradies" hat die TÜV-Prüfung bestanden.

Quelle: http://www.donaukurier.de/nachrichten/b ... 71,2322410

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